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Die Janitscharen

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Foto (C): AdobeStock
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Sie sind die besten Soldaten ihrer Zeit: Dank der Janitscharen erringen die Osmanen gegen die Christen Sieg um Sieg. Bis die Elitegarde die Säbel gegen ihren Herren richtet
Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.

Text: Manuel Opitz

Was bildet sich der Sultan eigentlich ein? Ohne sie, seine besten Kämpfer, wäre er ein Niemand. Ein Herrscher ohne Heer. Und jetzt will Osman II., ein 17-jähriger Jüngling, seine tapferen Janitscharen einfach loswerden. Ersetzen. Das können sie nicht zulassen. Am 20. Mai 1622 marschieren die Soldaten zu seinem Palast. Säbel klirren, Rufe erschallen. Doch der Sultan lässt sich nicht blicken. Nun kennen die Männer nur noch ein Mittel: Gewalt.

Die „Söhne des Sultans“ wenden sich gegen ihren Vater

Sie stürmen die Tore, verjagen die Wachen, verwüsten die Gemächer – und erschüttern so das Reich in seinen Grundfesten. Die „Söhne des Sultans“, wie die Janitscharen auch genannt werden, wenden sich gegen ihren Vater.

Wenig später findet sich Osman auf einem klapprigen Pferd wieder. Die Soldaten haben ihm ein dreckiges Tuch als Turban umgebunden und führen ihn in einem zerfetzten Hemd durch eine johlende Menge. Was für eine Demütigung! Doch Osman wird nicht mehr lange über seinen Sturz nachsinnen können.

Das Türkenreich steht 1622 an einem Wendepunkt. Die Janitscharen haben ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren. Vorbei sind die glorreichen Tage, in denen allein ihr Name – er bedeutet „Neue Truppe“ – die Christen schreckte. Vorbei die Zeit, als sie den Aufstieg der Osmanen ermöglichten.

Janitscharen wurden als christliche Knaben zwangsrekrutiert

Im 14. Jahrhundert, als sich die Dynastie zur Großmacht aufschwang und dringend neue Soldaten brauchte, fand Sultan Murad eine kluge Lösung: Männer aus den eroberten christlichen Provinzen. Anders als bei den türkischen Reiterkriegern galt ihre Treue nicht einem der vielen Stammesfürsten, sondern nur ihm. Außerdem waren sie immer einsatzbereit und einheitlich ausgebildet. Anders als die oft eilig ausgehobenen christlichen Söldnerheere.

Seit Murads Reformen schicken die Sultane alle ein bis fünf Jahre Offiziere zur „Knabenlese“ in die Dörfer auf dem Balkan und im Kaukasus. Während der Priester das Taufregister aushändigt, müssen sich die Väter mit ihren Söhnen versammeln. Wer Christ ist, kommt in die engere Auswahl. Dann werden die starken, hübschen Jungen abgeführt und sehen ihre Eltern nie wieder. Sie gehören jetzt dem Sultan.

Zwischen 1000 und 12 000 Jungen werden so pro Jahr rekrutiert. Zwar sind Familien mit nur einem Sohn ausgenommen, ebenso verheiratete Männer, und auch die Städter bleiben meist verschont. Trotzdem wird die Knabenlese zum Symbol für das türkische Joch. So klagt etwa Erzbischof Isidoros von Thessaloniki 1395 über das Leid, wenn das eigene Kind „weggerafft“, „in fremde Sitten gezwängt“ und „zur Tötung seiner Landsleute erzogen“ werde.

Fern der Heimat zu kühnen und vielseitigen Kämpfern gedrillt

Tatsächlich beginnt für die Jungen ein Martyrium: Zwangsbekehrt, beschnitten und mit einem muslimischen Namen ausgestattet, müssen sie sich einer weiteren Musterung stellen. Die intelligentesten wechseln direkt in den Palastdienst, die restlichen 90 Prozent werden für bis zu sieben Jahre an anatolische Bauernfamilien „vermietet“. Sie arbeiten auf dem Feld, lernen Türkisch, praktizieren den islamischen Glauben. Danach werden sie in Kasernen gedrillt. Disziplin, Gehorsam, Treue – das allein zählt. Die Umerziehung macht aus den christlichen Jungen entwurzelte muslimische Männer, die sich willenlos unterordnen.

Die Rekruten trainieren so lange, bis sie perfekte Kämpfer sind. Dann werden sie in das Korps aufgenommen. Alkohol, Fluchen, Spiele und Luxus sind tabu. Heiraten dürfen sie erst, wenn sie aus dem Dienst ausscheiden, meist mit Mitte 40. Bis dahin bilden sie einen verschworenen Bund, mehr noch: eine Glaubensgemeinschaft. Die weißen Filzhüte, die sie tragen, gehen auf einen Derwischorden zurück, der Enthaltsamkeit und absolute Hingabe zu Gott propagiert.

Foto (C): Wikipedia
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Zeitgenössische Darstellung der Schlacht aus der osmanischen Bilderhandschrift: Hünername

In der Schlacht dagegen sollen sie nur eins: siegen. Und das tun sie. Zu verlieren haben die Janitscharen ohnehin nichts: Sie leben nur für den Sultan. Wer fällt, kommt ins Paradies. Auf die Reiter, die vorpreschen, um die gegnerischen Linien zu durchstoßen, folgt gleich die Eliteinfanterie. Muskete anlegen, Feind anvisieren, feuern, nachladen. Jeder Schuss sitzt. Wie eine Maschine. Eine dröhnende Musikkapelle – Hunderte Trompeten, Trommeln und Pauken – treibt sie an.

Eine Glaubensgemeinschaft mit absoluter Disziplin

Kämpfen anfangs keine 2000 Janitscharen für den Sultan, sind es 1708 schon über 53 000. Selbst der Feind bewundert sie: „Man hörte kein Wort, keinen Fluch des Mutwillens oder Trunkenheit. Es gab keine Zechgelage und Schmausereien, kein Glücksspiel – das große Laster unserer Kriegsleute“, schreibt ein habsburgischer Diplomat. Die Janitscharen zelebrieren ein geradezu familiäres Zusammenleben, vor allem beim Essen. Ihre Gemeinschaft nennen sie den „Herd“. Offiziere und Kommandeure heißen „Suppenmeister“ oder „oberster Koch“. Der wertvollste Besitz einer jeden Kompanie ist ein großer kupferner Kochkessel. In ihm kochen sie Bulgur mit Butter, vor ihm schwören neue Rekruten dem Sultan ihre Treue. Ihn zu verlieren gilt als schlimmste Schmach überhaupt. Und den Kessel umzustürzen ist das Zeichen zum Aufruhr. Wie 1622, als die Truppen gegen Osman II. rebellieren.

Das Reich und Sklavenarmee rutschen in eine Krise

Die einstige Sklavenarmee hat sich mittlerweile zu einer verwöhnten Elite entwickelt. Janitscharen müssen keine Steuern zahlen und bekommen, im Gegensatz zu anderen Einheiten, einen regelmäßigen Sold. Ihr Schicksal ist zwar an den Sultan gebunden – aber seines an ihre Loyalität. Genau das wissen die Kämpfer auch. Immer dreister fordern sie Geld. Jeder neue Herrscher muss Geschenke an das Korps verteilen. Solange erfolgreiche Feldzüge die Staatskassen füllen, ist das kein Problem. Doch nach der erfolglosen Belagerung Wiens 1529 stockt die Expansion in Europa. Das Reich rutscht in eine Krise.

Sinkende Einnahmen und Löhne befeuern die Korruption, auch bei den Janitscharen: Mit Schmiergeldern hieven Familien ihre Söhne in die Truppe. Längst hat sich herumgesprochen, dass denjenigen, die es in den Palastdienst schaffen, die höchsten Ämter offenstehen. Wie Sokollu Mehmed Pascha, einem Slawen, der es zum Großwesir bringt. Oder Sinan, der zum wichtigsten osmanischen Baumeister aufsteigt.

Jetzt aber gelangen nicht mehr die vielversprechendsten Jungen in die Garde. Während die Knabenlese immer seltener wird und Ende des 17. Jahrhunderts komplett wegfällt, büßt die Truppe an Kampfkraft ein. Zu dieser Zeit dürfen die Kämpfer sogar heiraten – und müssen nicht mehr in Baracken hausen. Von ihrer einstigen Disziplin bleibt wenig übrig.

Umso stärker klammern sich die Janitscharen an ihre Macht und Privilegien. Sie entscheiden mit, wer Sultan wird. Und sie rebellieren. 1589 kann Sultan Murad III. seine Herrschaft nur dadurch retten, dass er den Soldaten seine beiden engsten Berater ausliefert – die sofort geköpft werden.

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Der Kammerherr Sultan Murads IV. im Kreise der Janitscharen

Meuterei der Janitscharen

Osman II. hätte 1622 also gewarnt sein können. Mit 14 kommt der eigenwillige Heißsporn auf den Thron. Er läuft etwa undercover durch Istanbul und schaut, ob sich seine Soldaten in Tavernen herumtreiben. Das macht ihn bei der Truppe unbeliebt. Um seine Autorität zu stärken, bricht er überhastet zu einem Feldzug gegen Polen-Litauen auf, scheitert kläglich – und macht ausgerechnet die stolzen Janitscharen für die Niederlage verantwortlich.

Nach seiner Rückkehr plant Osman II. eine Pilgerreise nach Mekka und sorgt damit für Misstrauen. Ein solches Unternehmen hat kein Sultan vor ihm gestartet. Will der Herrscher etwa in den Provinzen ein Ersatzheer für die Janitscharen aufstellen?

Als Osman abreisen will, meutern die Truppen, brechen in den Harem ein und setzen einen schwachsinnigen Ex-Sultan, der dort gefangen gehalten wird, auf den Thron. Osman dagegen verhaften sie. Bevor die Rebellen ihn töten, zerquetschen sie seine Hoden.

Foto (C): akg
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Portrait von Sultan Osman II.

Zum ersten Mal kostet eine Meuterei der Janitscharen ihren Sultan das Leben. Damit stellt die Elitetruppe klar, wer das Sagen im Reich hat. Und zwar für die nächsten 200 Jahre. Nach Gutdünken setzen sie Herrscher ab. Schon 1648 fegt ein Aufstand Sultan Ibrahim vom Thron. Vor allem die Großwesire leben gefährlich: 1688 stürmen Janitscharen – sie fordern mal wieder Sold – das Anwesen des Ministers. Sie töten ihn, schneiden seiner Schwester und der Gemahlin Hände und Nasen ab und schleifen sie nackt durch das Basarviertel. Niemand kann die Truppe stoppen.

Tag der Abrechnung und das Ende der Janitscharen

Bis 1826. Sultan Mahmud II., ein eiskalter Stratege, will die Macht der Janitscharen brechen. Während er das Korps 1821 nach Griechenland schickt, um einen Aufstand niederzuschlagen, baut er in Istanbul eine Privatarmee auf: Europäische Offiziere trainieren eine neue Truppe – und rüsten die Männer mit modernen Waffen aus.

Dann bricht der Tag der Abrechnung an: Mahmud verkündet die Auflösung der Janitscharen, die genau so regieren, wie der Sultan es erwartet. Mit einer Revolte. Am 14. Juni werfen die Kämpfer die Kochkessel um und greifen zu den Waffen. Genau darauf hat Mahmud gewartet. Er lässt das ganze Areal mit Kanonen beschießen und richtet ein Gemetzel an. Mehr als 10 000 „Söhne“ des Sultans sterben. Für Mahmud aber ist das brutale Ende der Janitscharen nur das „wohltätige Ereignis“.

Der Text ist in P.M. History Ausgabe 08/2019 erschienen.