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Einsteins Brief und die schrecklichen Folgen

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Foto (C): akg-images
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Der Physiker und die Atombombe: Im August 1939 macht Albert Einstein den US-Präsidenten auf die deutsche Uranforschung aufmerksam. Die Folgen bereut er den Rest seines Lebens
Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.

Text: Manuel Opitz

Ferienzeit in den USA. Auch der weltbekannte Physiker Albert Einstein, der seit 1933 an der Universität Princeton forscht, macht Urlaub. Auf Long Island, etwa 130 Kilometer von New York City entfernt, hat er sich im Örtchen Peconic ein kleines Haus angemietet, um hier den Sommer mit Segeln und Violinspiel zu verbringen. Erholsame Wochen sollten es sein – doch nun plagt den Nobelpreisträger die Angst, dass Deutschland die Welt mit einer Atombombe in Geiselhaft nehmen könnte.

Daher unterzeichnet er am 2. August 1939 einen Brief, zwei getippte Seiten lang. Ein gut gemeintes Schriftstück, das schreckliche Folgen haben wird. Und das Einstein bis ans Lebensende bereuen wird. Der Empfänger: US-Präsident Franklin D. Roosevelt.

Foto (C): UIG-via-Getty-Images
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Im August 1939 warnte Albert Einstein, mit einem Brief ins Weiße Haus den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, vor neuartigen „Bomben mit einem extrem hohen Zerstörungspotenzial“

Einstein rät Roosevelt, Zeit und Geld in die Kernforschung zu investieren

In dem Schreiben erklärt Einstein, „dass es möglich werden könnte, in einer großen Menge Uran eine nukleare Kettenreaktion auszulösen, wodurch ungeheure Mengen von Energie und neuer, radiumartiger Elemente erzeugt würden“. Dann der entscheidende Satz: „Dieses neue Phänomen könnte zur Konstruktion von Bomben führen, und es ist denkbar – obgleich viel weniger gewiss –, dass auf diese Weise neuartige Bomben mit einem extrem hohen Zerstörungspotenzial hergestellt werden.“ Einstein rät Roosevelt, Zeit und Geld in die Kernforschung zu investieren, da in Deutschland „in diesem Moment“ Wissenschaftler ebenfalls daran arbeiteten.

Gut ein halbes Jahr zuvor hatten bahnbrechende Forschungsergebnisse die Welt der Physik aufgerüttelt. Erst gelang Otto Hahn mit seinem Mitarbeiter Fritz Straßmann im Dezember 1938 unverhofft die erste Kernspaltung. In ihrem Berliner Labor beschossen sie den Kern eines Uranatoms mit Neutronen, der daraufhin zerfiel. Warum und wie genau? Das wussten sie nicht.

Lise Meitner und Otto Frisch liefern wichtige Erkenntnisse zur Kernspaltung

Die Erklärung lieferten Lise Meitner und Otto Frisch im Januar 1939. Demnach setzt eine solche Kernspaltung nicht nur Neutronen frei, sondern wandelt – im Einklang mit Einsteins Relativitätstheorie – auch einen winzigen Teil des gespaltenen Atoms in pure Energie um. Die freigesetzten Neutronen können wiederum weitere Atomkerne spalten, wodurch immer mehr Energie freigesetzt wird. Eine Kettenreaktion.

Dass dieses Prinzip für neue Waffen mit riesiger Sprengkraft genutzt werden könnte, schlussfolgerte der Physiker Leó Szilárd. Der gebürtige Ungar hatte jahrelang in Berlin geforscht, bevor er 1933 vor den Nationalsozialisten nach England und später in die USA flüchten musste. Nachdem die Deutschen zum ersten Mal eine Kernspaltung durchgeführt hatten, stand für ihn außer Frage: Nun würden sie ein geheimes Bombenprogramm starten. Diese Befürchtung führte ihn zu einem alten Kollegen: Einstein.

Foto (C): Bridgeman-Images
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Alte Bekannte: Die Idee für den Brief an Roosevelt hatte der Physiker Leó Szilárd (r.), ein Kollege Einsteins. Nach dem Krieg stellten sie die Szene noch einmal nach

Beide Physiker kannten sich aus ihrer Berliner Zeit in den 1920ern, als sie gemeinsam energieeffiziente Kühlschränke entworfen hatten. Wie Szilárd fand auch Einstein Zuflucht in den USA. Ein Deutschland unter Hitler lehnte er von Anfang an strikt ab. „Solange mir eine Möglichkeit offensteht, werde ich mich nur in einem Land aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen“, erklärte er.

Das gefährliche Uran sollte nicht in falsche Hände gelangen

Während seines Urlaubs im Sommer 1939 empfängt der geniale Physiker seinen Freund Szilárd gleich zweimal. Einstein, erklärter Pazifist, ist skeptisch, was die Entwicklung nuklearer Waffen angeht, teilt aber die Befürchtungen des Kollegen. Er will ihn unterstützen, schon aus Angst vor einer deutschen Atombombe. Bei ihrem ersten Treffen im Juli planen sie zunächst, einen Brief an die belgische Regierung zu schicken, denn in Belgisch-Kongo lagern damals die größten Uranvorkommen der Welt. Die Absicht dahinter: zu verhindern, dass das gefährliche Metall den Deutschen in die Hände fällt. Doch dann überlegt Szilárd es sich anders. Vielversprechender scheint es ihm, sich direkt an den US-Präsidenten zu wenden. Dessen Vertrauter, der Ökonom Alexander Sachs, hat Szilárd zugesichert, Roosevelt einen Brief von ihm zu übergeben. Deshalb reist er erneut in Einsteins Feriendomizil nach Peconic, nun in Begleitung des Physikers Edward Teller.

Wie ich mich erinnere, diktierte Einstein einen Brief auf Deutsch, den Teller zu Papier brachte, und ich benützte diesen deutschen Text als Vorlage für zwei Entwürfe, einen kürzeren und einen längeren, und überließ Einstein die Wahl, welcher ihm besser gefiel.

Leó Szilárd (1898-1964), ungarisch-deutsch-amerikanischer Physiker

Was sich dann zuträgt, ist umstritten: „Man hat mir einen fertigen Brief gebracht, und ich habe bloß unterschrieben“, sagt Einstein später – und redet seine Verantwortung so wohl nachträglich klein. Szilárd dagegen hält fest: „Wie ich mich erinnere, diktierte Einstein einen Brief auf Deutsch, den Teller zu Papier brachte, und ich benützte diesen deutschen Text als Vorlage für zwei Entwürfe, einen kürzeren und einen längeren, und überließ Einstein die Wahl, welcher ihm besser gefiel.“ Sicher ist: Einstein unterschreibt beide Briefe und schickt sie an Szilárd zurück, der wiederum die Langfassung an Alexander Sachs weitersendet.

Dieser übergibt das Schreiben am 11. Oktober an Roosevelt. Und der Präsident? Reagiert sofort. Gegenüber Alexander Sachs fasst er zusammen: „Alex, worauf du hinauswillst, ist, dass die Nazis uns nicht in die Luft sprengen.“ Noch am gleichen Tag setzt er das „Beratende Uran-Kommitee“ ein, die Keimzelle des späteren „Manhattan-Projekts“, in dem die erste Atombombe entwickelt werden wird. Das Komitee soll die Möglichkeiten einer Kernspaltung untersuchen und die Forschung der US-Universitäten dazu koordinieren.

Im „Manhatten-Projekt“ wird die erste Atombombe entwickelt

Allerdings führen Einsteins Zeilen keineswegs direkt zur Atombombe. Erst mal passiert: wenig. Bei der Kommission handelt es sich nur um eine kleine Gruppe, die über geringe Geldmittel verfügt, mickrige 6000 Dollar. Ihre Arbeit kommt so langsam voran, dass Einstein sich erneut einschaltet: Er schreibt zwei weitere Briefe an Roosevelt, in denen er organisatorische Vorschläge macht und nochmals vor den Forschungen in Deutschland warnt.

Dort nämlich haben renommierte Physiker schon im Frühjahr 1939 den „Uranverein“ gegründet, der die Entwicklung einer „Uranmaschine“ – also eines Kernreaktors – fördert. Nach dem Beginn des Krieges zieht das Heereswaffenamt das Projekt an sich. Im Mittelpunkt stehen zwei – rivalisierende – Männer: Nobelpreisträger Werner Heisenberg und Kurt Diebner, Leiter des Referats für Atomphysik innerhalb des Heereswaffenamtes.

In den ersten Kriegsjahren sichert sich das Deutsche Reich wichtige Voraussetzungen für die Atomforschung: Uranerz-Ressourcen, einen Teilchenbeschleuniger und „schweres Wasser“, das mit dem Wasserstoffisotop Deuterium angereichert ist und den Atomreaktor betreiben soll. Es wird im von den Deutschen besetzten Norwegen produziert – bis britische Spezialeinheiten und Partisanen das Kraftwerk 1943 sprengen. Davon abgesehen hat das Uranprojekt für die Reichsleitung aber keine Priorität. Sie ist vor allem an Waffen interessiert, die kurzfristig eingesetzt werden können.

Während die deutschen Physiker von einer Atomwaffe also weit entfernt bleiben, steigen die Amerikaner mit gigantischem Aufwand in das vermeintliche Wettrennen um die Atombombe ein. Die endgültige Entscheidung für den Bau der Bombe fällt am 6. Dezember 1941, einen Tag vor Pearl Harbor. Bald arbeiten für das Manhattan-Projekt 125 000 Menschen an der fürchterlichsten Kriegswaffe der Menschheit.

Am 6. August 1945 reißt die Atombombe „Little Boy“ über Hiroshima rund 140 000 Menschen in den Tod

Maßgeblich beteiligt ist auch Leó Szilárd – im Gegensatz zu Einstein. Der Physiker wendet sich noch ein letztes Mal an Roosevelt, wieder auf Betreiben seines Kollegen: 1945 will Szilárd verhindern, dass die Atomwaffe gegen japanische Zivilisten gerichtet wird. Einstein soll ein Treffen zwischen ihm und dem Präsidenten anregen. Am 25. März 1945 verfasst Einstein einen Brief an Roosevelt – doch der stirbt, bevor er das Schriftstück lesen kann. Kein halbes Jahr später, am 6. August um 8.16 Uhr, explodiert über Hiroshima jene Bombe namens „Little Boy“, die etwa 140 000 Menschen in den Tod reißt.

Die Briefe an Roosevelt bereut Einstein zutiefst

Als Einstein die Nachricht hört, gibt er angeblich nur einen Seufzer von sich: „O weh.“ Den Rest seines Lebens fühlt er sich mitschuldig. Noch 1945 gründet er mit Szilárd das „Notkomitee der Atomforscher“ und fordert, die Bombe einer „Weltregierung“ anzuvertrauen. Die Briefe an Roosevelt bereut er zutiefst. „Wenn ich gewusst hätte, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, die Atombombe zu konstruieren, hätte ich mich von allem ferngehalten.“ Noch kurz vor seinem Tod am 18. April 1955 nennt er den Brief aus dem Jahr 1939 den großen Fehler seines Lebens.

Dieser Artikel ist in P.M. History Ausgabe 2/2019 erschienen.