Welche Festung schützte Hamburg vor 1000 Jahren?

von
Foto: © Archäologisches Museum Hamburg
Wo heute das Zentrum der Millionenstadt an der Elbe liegt, strebte im Herbst 1021 ein gewaltiges Bauwerk am Fluss empor: die »Neue Burg«. Sie wurde zerstört und vergessen. Doch nun haben Forschende sie für eine Sonderausstellung im Archäologischen Museum Hamburg digital rekonstruiert. Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss über die Herausforderungen bei den Ausgrabungen und der Darstellung der Burg.

(Interview: Manuel Opitz)

Ihre Darstellung der Festung ist sehr detailliert. Was davon ist archäologisch fundiert, was Spekulation?

Wir sind bei Grabungen ab 2014 im Boden auf so spektakulär gut erhaltene Holzreste gestoßen, dass wir den Burgwall zentimetergenau rekonstruieren konnten. Als die Burg im 12. Jahrhundert zerstört wurde, hat man den Wall nicht abgetragen, sondern mit Erde überschüttet und dann überbaut. So blieb er, quasi luftdicht verschlossen, im Boden aufrecht stehend konserviert – bis heute. Aufgrund der guten Holzerhaltung ließ sich mittels Jahrringanalyse auch der Baubeginn bestimmen: auf den Herbst 1021, also vor fast genau 1000 Jahren. 

Was wissen Sie noch über den Wall? 

Es handelte sich um einen Erdwall mit einem Wehrgang und einer hölzernen Brüstung. Wer sich der Burg näherte, hatte eine rund 6,50 Meter hohe Bastion vor sich. Diese umschloss ein Gebiet von 170 Meter Durchmesser und hatte zwei Tore, eins zum Norden hin und eins nach Osten, zum Hafen. Erdwall klingt für uns vielleicht läppisch, aber man muss sich klarmachen: Für den Wall wurde nicht einfach Erde aufgeschüttet, sondern ein komplexes Innengerüst aus massiven Holzkonstruktionen gebaut. Insgesamt wurden 40 000 Bäume verbaut. 

Gibt es über das Innere der Burg ähnliche Befunde?

Leider ist das Innere der Neuen Burg weitgehend zerstört worden. Das heißt, bei der Rekonstruktion mussten wir mit Plausibilitäten arbeiten. Zum Beispiel muss der Weg durch die Burg halbrund gewesen sein, denn mit einem Ochsenkarren konnte man schlecht im rechten Winkel fahren. Bei den Häusern im Inneren der Burg haben wir uns an zeitgenössischen Vergleichen orientiert. Steinbau war in Norddeutschland zu dieser Zeit unbekannt, deshalb sind alle Häuser Holzbauten. Als größtes Gebäude sehen wir die Residenz des Herzogs und rundherum Funktionshäuser wie Stallungen, Schmiede und die Werkstätten anderer Handwerker, außerdem eine kleine Kirche. Wir gehen davon aus, dass maximal 20 Familien auf dem Burgareal gelebt haben.

Ist der Name »Burg« da nicht ein bisschen übertrieben?

Nein, denn im 11. Jahrhundert war im Norden mit Burg keine Ritterburg gemeint. Das war ein Sammelbegriff für eine Ansiedlung. Erst ab dem ausgehenden 12. Jahrhundert, als Ortschaften immer größer wurden, hat man klarer unterschieden zwischen einer Stadt und einer Burg aus Stein, in der Adlige, Ritter und die Obrigkeit einquartiert waren. Bauherr der Neuen Burg war übrigens Herzog Bernard II. aus der Familie der Billunger, die ihren Stammsitz eigentlich in Lüneburg hatten. Trotzdem errichteten sie in Hamburg die größte Burg Norddeutschlands, und das sagt einiges über den Stellenwert der Siedlung aus. 

Und wer war für ihre Zerstörung verantwortlich?

Im 12. Jahrhundert gab es territoriale Streitigkeiten um das Hamburger Gebiet, und in deren Verlauf soll Graf Heinrich von Badwide die Neue Burg 1139 zerstört haben.

Wie hat Hamburg sich davon erholt?

Im Jahr 1188 hat Graf Adolf III. von Schauenburg aus der neuen Herrscherfamilie beschlossen: Jetzt bringen wir wieder Leben in die Bude. Er siedelte Kaufleute aus Friesland, Westfalen und sogar Flandern an. Von da an ging es wieder bergauf. Aber der Ort hätte damals auch vor die Hunde gehen können, und dann wäre Hamburg heute nichts anderes als ein Dörfchen im Niemandsland.

Dieses Interview ist in der Ausgabe 08/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.