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Wer füllt Lücken in antiken Inschriften?

von
Bread, Food, Rock
Foto: © INTERFOTO
Im Schnitt gelingt es Forschenden nur in einem Viertel aller Fälle, lückenhafte antike Texte zu ergänzen. Bei dieser Aufgabe kann zukünftig künstliche Intelligenz zu Hilfe kommen

(Text: Angelika Franz)

Normalerweise ist es die Aufgabe von Epigrafikern, Wörter auf Gräbern oder Gebäuden des antiken Griechenlands zu entziffern. Doch besonders erfolgreich sind sie mit dieser kniffeligen Aufgabe oft nicht: Es gelingt ihnen im Schnitt gerade einmal in einem Viertel der Fälle, die Texte zu ergänzen. Kein Wunder, denn um auf diesem Gebiet Erfolge zu erzielen, muss ein Mensch erst einmal jahrzehntelang beim Studium Abertausender Inschriften einen individuellen Erfahrungsschatz aufbauen. 

Bei dieser Aufgabe könnte den Fachleuten aber künftig künstliche Intelligenz zu Hilfe kommen. Ein internationales Team von Forschenden der University of Oxford, der Universität von Venedig, der Wirtschaftsuniversität Athen sowie des Google-Unternehmens Deepmind hat ein künstliches neuronales Netzwerk vorgestellt, mit dessen Hilfe die Trefferquote sprunghaft auf 72 Prozent ansteigt. Doch das Netzwerk, das auf den Namen »Ithaca« – nach der Heimat des homerischen Helden Odysseus – getauft wurde, kann noch weitaus mehr als das. Es macht auch Vorschläge zum Entstehungsort sowie zur Datierung der Texte. Beim Ort liegt Ithaca in 71 Prozent der Fälle richtig, die Entstehungszeit kann das Netzwerk auf einen Rahmen von 30 Jahren eingrenzen. 

Das Team Ithaca fütterte die künstliche Intelligenz mit Daten aus 178 551 Inschriften

Um der künstlichen Intelligenz diese Fähigkeiten beizubringen, fütterte das Team Ithaca mit Daten von 178 551 griechischen Inschriften, die das Packard Humanities Institute im kalifornischen Los Altos zur Verfügung stellte. Und Ithaca hat noch lange nicht ausgelernt: Derzeit sind bereits Versionen in Arbeit, die Akkadisch, Demotisch, Hebräisch oder Maya lesen können. Schon bei ersten Tests konnte das Netzwerk seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Es entschied einen Expertenstreit um eine Reihe von attischen Dekreten, von denen einige Fachleute annahmen, sie seien vor 446/445 v. Chr. niedergeschrieben worden, während andere sie in die 420er-Jahre datierten. Mit einer Datierung auf 421 v. Chr. konnte Ithaca diesen Fall aufklären.

Der Artikel ist in der Ausgabe 06/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.