Wer lebt auf dem Balkan?

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Viele Ethnien auf kleinem Raum: Das ist eines der Merkmale des Balkans. Nationen im eigentlichen Sinne haben sich aber erst im 19. Jahrhundert gebildet.

Autor: Manuel Opitz

Die Balkanvölker haben nie isoliert nebeneinander gelebt, sondern miteinander Handel getrieben und sich vermischt. So sind teilweise ähnliche Traditionen entstanden.

Albaner

Die „Shqiptarët“, wie sie sich selbst nennen, führen ihre Herkunft auf die Illyrer zurück, die in der Antike an der Adriaküste siedelten. Einer dieser Stämme wurde schon im 2. Jh. n. Chr. als „­Albanoi“ bezeichnet. Als eigenständige Bevölkerungsgruppe wurden die Albaner 1078 erstmals von den Byzantinern erwähnt. Ein geeintes Reich gründeten die Albaner aber nie. Unter der Herrschaft der Osmanen konvertierte die Mehrheit zum Islam. Erst seit 1912 gibt es einen unabhängigen Staat Albanien.

Bosniaken

Es existiert ein feiner Unterschied zwischen den Wörtern „Bosnier“ und „Bosniake“. Der erste Begriff bezeichnet alle Bewohner Bos­­niens – unabhängig von ihrer Religion oder ethnischen Herkunft. Mit „Bosniaken“ dagegen sind nur die muslimischen Bosnier gemeint. Ihr Status als Ethnie war lange umstritten: Sowohl ihre serbischen als auch ihre kroatischen Nachbarn versuchten, sie für sich zu beanspruchen. Erst 1968 wurden die muslimischen Bosnier in Jugoslawien als Nation anerkannt.

Bulgaren

Im 7. Jh. drang ein Turkvolk aus dem Wolgaraum auf den Balkan vor und stellte Byzanz schnell vor große Probleme. Diese sogenannten Protobulgaren vermischten sich nach und nach mit slawischen Stämmen (das moderne Bulgarisch ist eine slawische Sprache). Im Jahr 681 musste der Kaiser in Konstantinopel die Bulgaren notgedrungen anerkennen. Den Gipfel seiner Macht erreichte das Reich unter Zar Simeon I. (864–927), bevor es im frühen 11. Jh. wieder unterging.

Kroaten

Ab dem 6. Jh. wanderten slawische Stämme in Kroatien ein. Entscheidend für ihre spätere Entwicklung war, dass sie anders als die weiter südlich siedelnden Serben nicht von Byzanz, sondern von Rom aus christianisiert wurden. Obwohl sie sprachlich eng mit den anderen Südslawen verwandt waren, wurde Kroatien Teil des westeuropäischen Kulturraums: 1102 schloss sich das kroatische Reich mit Ungarn zusammen. 1519 erklärte der Papst die Kroaten zum „Bollwerk des Christentums“.

Mazedonier

Die modernen Mazedonier haben nichts mit den antiken, griechisch geprägten Makedonen gemein. Sie stammen von slawischen Einwanderern ab, die sich hier ab dem 6. Jh. ansiedelten. Die Region war umkämpft: Nach den Balkankriegen 1912/13 teilten Griechenland, Serbien und Bulgarien Makedo­nien unter sich auf und verfolgten eine Assimilierungspolitik. Erst im sozialistischen Jugoslawien entwickelte sich eine mazedonische Identität. 1991 wurde das heutige Nordmazedonien unabhängig.

Montenegriner

Sind sie Serben oder ein eigenes Volk? Die Frage war noch im 20. Jh. selbst unter den Einwohnern Montenegros umstritten. Schon im Mittelalter hatten serbische Könige über Teile der Region geherrscht. Unter den Osmanen bewahrte Montenegro eine gewisse Autonomie und wurde 1878 selbstständiges Fürstentum, doch schon 1918 fanden sich die Einwohner im neu geschaffenen Königreich Jugoslawien wieder. Erst 2006 erklärte sich Montenegro von Serbien unabhängig.

Rumänen

Das Rumänische ist eng mit dem Lateinischen verwandt. Darauf stützt sich die Theorie, dass es sich bei den Rumänen um die Nachfahren der Daker handelt, die zwischen 106 und 275 n. Chr. zum Römischen Reich gehörten. Der Haken dabei: Warum sollte sich das römische Erbe ausgerechnet in jener Region am längsten gehalten haben, die am kürzesten Teil des Imperiums war? Die meisten Forscher glauben daher an eine viel spätere Einwanderung romanisch sprechender Gruppen.

Serben

Die Slawen, die sich im 6. Jh. im heutigen Serbien niederließen, lebten zunächst unter byzantinischer Oberherrschaft. Ab dem 9.Jh. schlossen sich die Stämme zu – verstärkt autonomen – Föderationen zusammen. Unter der Dynastie der Nemanjiden stieg Serbien zur Führungsmacht auf dem Balkan auf: Mitte des 14. Jh. reichte sein Einfluss von Belgrad bis nach Mittelgriechenland. Doch dann zerfiel das Reich und geriet ab 1389 unter osmanische Herrschaft.

Roma

Sie werden oft vergessen, wenn von den Bewohnern des Balkans die Rede ist, nicht zuletzt, weil sie nie einen eigenen Staat gegründet haben, sondern bis heute eine Minderheit geblieben sind. Die Vorfahren der Roma stammen aus Indien und zogen ab dem 8. Jh. in Richtung Persien. Im 14. Jh. kamen sie auf den Balkan, wo sie als heimatloses „Fremdvolk“ angefeindet wurden. Als „Roma-Sklaven“ mussten sie für Großgrundbesitzer auf dem Balkan arbeiten; in Rumänien bis ins 19. Jh.

Slowenen

Seit dem Spätmittelalter gehörte Slowenien zum Habsburgerreich. Die Alpenslawen bewahrten eine eigene ethnische Identität, vor allem gegenüber deutschsprachigen Einwanderern. Im 16. Jh. entstand eine slowenische Schriftsprache, im Deutschen wurde die Volksgruppe dennoch als „Windische“ bezeichnet. 1849 forderten die Slowenen Gleichberechtigung im Reich: Slowenisch wurde Amtssprache, der Name „Slowenen“ setzte sich endgültig durch.

Türken

Im 11. Jh. siedelten sich türkische Stämme – es ­handelte sich um mehrere Ethnien aus Zentralasien – in Anatolien an. Mit der Expansion des Osmanischen Reiches ließen sich Türken ab dem 13. Jh. etwa als Beamte und Bauern in Europa nieder. In Bosnien und Albanien vermischten sie sich mit der einheimischen Bevölkerung, in Serbien und Grie­chenland blieben sie Minderheiten. Diese „Balkantürken“ wurden in den neu entstandenen Nationalstaaten des 19. Jh. vielfach unterdrückt.

Der Artikel ist in der Ausgabe 12/2020 von P.M. History erschienen.

Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.