»Arctic Greening«: Wachsen die Berge zu?

Felsland hinter der Küste Spitzbergens: Mit dem Klimawandel dringen Pflanzen in für sie zuvor lebensfeindliche Zonen der Bergwelt vor
Foto: © Moment/Getty Images/ Viktor Posnov
(Artikel: Minerva Fois)
Vor einigen Jahren hat das Klimawandel-Phänomen »Arctic Greening« Schlagzeilen gemacht: Die karge Tundra der Arktis wird immer grüner, 38 Prozent mehr Bewuchs war auf Satellitenaufnahmen zu erkennen. Dass die Arktis ihr typisches Antlitz verliert, liegt an den milderen Temperaturen, die das Wachstum der Vegetation fördern.
Neuesten Erkenntnissen zufolge wachsen allerdings längst nicht nur die arktischen Weiten zu. In luftiger Höhe zeigen sich dieselben Veränderungen noch viel deutlicher: Hoch oben in den Alpen, wo früher nur zäheste Kräuter gediehen, macht sich inzwischen nomales Grünzeug breit. Forschende von den Universitäten Lausanne und Basel in der Schweiz haben Satellitenaufnahmen aus den Jahren ab 1984 verglichen, die Arbeit ist im Fachblatt »Science« erschienen. Ergebnis: fast 80 Prozent mehr grüne Vegetation oberhalb der Baumgrenze.
Durchschnittstemperaturen: »Kleine Schwankung, große Wirkung«
Der größte Zuwachs findet auf rund 2300 Höhenmetern statt. Dort, wo Durchschnittstemperaturen normalerweise knapp über dem Gefrierpunkt liegen, gilt das Motto »Kleine Schwankung, große Wirkung«: Kritische Grenzwerte sind schnell erreicht. Schneefreie Stellen am Berg sind übrigens nicht der Grund. Zwar zieht sich die Schneedecke zurück, diese Veränderung beträgt in den untersuchten Höhenlagen aber nur zehn Prozent.
Hinter dem grünen Wachstumsschub steckt vielmehr erneut der genannte Temperaturanstieg, der die Vegetationsperioden verlängert. Gleichzeitig sorgt das Tauwetter für die nötige Bewässerung. Auf der Strecke bleibt unterdessen die typische Alpenflora mit Edelweiß und Co: Diese Spezialisten halten zwar die alpine Kargheit aus, nicht aber den Konkurrenzdruck durch schnell wachsende Pflanzenarten.
Der Wandel von Weiß zu Grün setzt eine Spirale in Gang, erklären die Forschenden. So bleibt der Schnee nun zum Beispiel in Büschen hängen, wo er auch blitzschnell wieder wegtaut – während er auf dem Boden als Schneedecke fehlt. Wenn es immer weniger weiße Flächen gibt, wird weniger Sonne reflektiert. Dadurch zieht die Erwärmung in den Bergen weiter an. Deren Begrünung wird allerdings in absehbarer Zeit auch wieder enden: nämlich dann, wenn nicht mehr genug Schmelzwasser zur Bewässerung abfließt. Auf das Kapitel »Greening« folgt dann das »Browning«.
Der Artikel ist P.M. Schneller Schlau erschienen.