Graphen: Comeback eines Wundermaterials

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Foto (C): IPTC
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Extrem dünn, leitfähig und stabil: Graphen wurde als Revolution bejubelt. Doch das fast unsichtbare Material bereitete große Probleme. Erst jetzt kommt es in unserem Alltag an.

Text: Dirk Eidemüller

Graphen wurde als Wunderstoff bekannt. Es ist nicht nur atomar dünn – es leitet auch Strom und Wärme hervorragend. Und es ist mechanisch extrem belastbar: Seine Zugfestigkeit ist 125-mal so hoch wie die von Stahl.

Groß waren daher die Erwartungen, als es entdeckt wurde. Doch dem Hype folgte die Enttäuschung. Schnell wurde es wieder ruhig um Graphen. Produktion und Handhabung eines so dünnen Materials bereiteten enorme Probleme. Die Forscher mussten erst mühsam lernen, mit dem kniffeligen, fast unsichtbaren Stoff umzugehen.

Schritt für Schritt kommt Graphen der Alltagsreife näher

Doch mittlerweile bekommen sie viele der anfänglichen Probleme in den Griff. Schritt für Schritt kommt Graphen der Alltagsreife näher. Eine wichtige Arbeit wird Graphen schon in den kommenden Jahren leisten: in Sensoren in Medizin, Industrie und Wissenschaft. Forscher an Instituten weltweit entwickeln verschiedene Arten von Sensoren, die sensibler, kleiner und belastbarer werden sollen als die heute benutzten Messfühler.

Etwa am Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration. Ein wichtiges Projekt dort sind neuartige Biosensoren, die Bakterien detektieren, wodurch sich Infektionen schnell und kostengünstig nachweisen lassen. Die Forscher entwickeln zurzeit einen wenige Millimeter großen Sensorchip, der als Schnelltest für Blutvergiftungen zum Einsatz kommen soll.

Foto (C): Fraunhofer IZM
Foto (C): Fraunhofer IZM

Dieser Blutsensor sucht in einer Blutprobe nach Bakterien, Viren oder Pilzen. Er besteht aus Graphenflocken, also gebrochenem Graphen.

Bislang sind derartige Sepsistests nur in Krankenhäusern möglich. Dort wird mit einem optischen System eine aufwendige Blutuntersuchung durchgeführt, die rund eine halbe Stunde dauert und teuer ist. Bisherige Schnelltests können die Erreger noch nicht direkt nachweisen. Das könnte sich mit Graphen nun ändern. »Wir modifizieren die Graphenflocken und docken bestimmte Moleküle daran an«, sagt der Forscher Manuel Bäuscher.

Wir modifizieren die Graphenflocken und docken bestimmte Moleküle daran an.

Manuel Bäuscher, Forscher

Die Moleküle sind so ausgewählt, dass sich nur bestimmte Bakterien an sie hängen. Wenn man nun einen Tropfen Blut auf den Sensorchip gibt, fangen die Moleküle die gesuchten Bakterien ein, falls sie vorhanden sind. Dadurch ändern sich nicht nur die Eigenschaften der Moleküle, sondern auch die des Graphens. Lässt man einen elektrischen Strom durch den Graphenchip fließen, ändert sich der Stromfluss. »Dank der hohen Leitfähigkeit von Graphen lässt sich das präzise auslesen«, sagt Bäuscher.

Foto (C): ICFO Graphene Flagship EU
Foto (C): ICFO Graphene Flagship EU

Graphen ermöglicht leichte und flexible Sensoren – dieser auf der Haut soll Vitalfunktionen wie Sauerstoffsättigung bestimmen.

Da sich solche Chips kostengünstig herstellen lassen, könnten Sepsistests künftig auch beim Hausarzt stattfinden – ähnlich einem Glukosetest. Nicht nur bei einer Blutvergiftung, sondern bei vielen Krankheiten könnte Graphen die Erreger identifizieren. Die Forscher gehen davon aus, dass es nur noch rund drei Jahre bis zur behördlichen Zulassung dauert.

Wie Graphen Wasser filtern, Umweltgifte entdecken, Akkus und Kondensatoren revolutionieren, ja sogar als Supraleiter dienen kann, lesen Sie in P.M. 11/2020.

Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.