Warum wurde Chicago im Jahr 1856 um bis zu 2,50 Meter angehoben?

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An den nördlichen und südlichen Ausläufern des Chicago River erhob sich die Stadt ursprünglich gerade einmal einen Meter über den Wasserspiegel. Die Lage brachte Krankheiten mit sich.

(Text: Thomas Röbke)

Die nordamerikanische Stadt Chicago liegt am Ufer des Michigansees und des Chicago River. An den nördlichen und südlichen Ausläufern des Flusses erhob sich die Stadt ursprünglich gerade einmal etwa einen Meter über den Wasserspiegel, der Westteil etwa 3 bis 3,60 Meter. Auf dem sumpfigen Untergrund konnten Regen- und Abwasser keinem natürlichen Gefälle folgen, stauten sich – und faulten. Die Folge waren Krankheiten: Typhus, Ruhr und Cholera suchten die Einwohner innerhalb weniger Jahre heim, allein an der Cholera starben mehr als 1400 Menschen.

Deshalb beschloss die Stadt den Bau einer Kanalisation – die erforderte jedoch ein natürliches Gefälle. Also begannen Bauherren und Ingenieure, Teile der Stadt höherzulegen. Fahrbahnen und Gehwege schütteten sie mit Erde auf, ebenso freie Grundstücke. Aus Holz errichtete Gebäude wurden ab 1856 entweder angehoben, abgerissen und neu errichtet oder auf Rollen gesetzt und an den Stadtrand verschoben. Backsteinbauten stellten eine größere Herausforderung dar. Sie anzuheben gelang erst 1858: Teleskopstützen stemmten in diesem Jahr gleich 50 massive Backsteingebäude hoch.

Die Arbeiten in Chicago dauerten rund 20 Jahre

Bereits 1860 waren die Ingenieure Chicagos in der Lage, eine 100 Meter lange Häuserzeile mit einem Gesamtgewicht von etwa 30 000 Tonnen gleichzeitig anzuheben – und zwar bei laufendem Betrieb der Geschäfte und Büros. Fünf Tage lang bedienten 600 Arbeiter rund 6000 Teleskopstützen.

Insgesamt dauerte es rund 20 Jahre, Chicago um bis zu 2,50 Meter anzuheben. Es sollte übrigens nicht der letzte Eingriff in die natürliche Lage der Stadt bleiben: Im Jahr 1900 kehrten Ingenieure die Fließrichtung des Chicago River um – damit seine Abwässer nicht mehr den Michigansee verschmutzten.

Der Artikel ist in der Ausgabe 04/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.