Was hilft gegen Mikroplastik?

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Foto (C): Getty Images
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Winzige Partikel aus Plastik machen der Umwelt, den Tieren und letztlich auch dem Menschen zu schaffen. Wie gefährlich sind sie?

Text: Carsten Jasner

Das größte Müllproblem der Welt heißt Mikroplastik. Allein in Deutschland gelangen jährlich rund 330 000 Tonnen der feinen Kunststoffteilchen in die Umwelt, etwa vier Kilogramm pro Kopf. Das ist dreimal so viel wie großes Plastik, beispielsweise Tüten, Flaschen und Verpackungen.

Die kleinen bis kaum sichtbaren Plastikteilchen, einen tausendstel bis fünf Millimeter groß, gelangen in alle Winkel des Planeten. Schwirren durch die Luft, dringen in Böden ein, schwimmen in Flüssen und Seen. Knapp 90 Prozent der Meeresoberflächen sind mit Mikroplastik kontaminiert, von der Arktis über die Ostsee bis zum Pazifik, und Forscher wurden selbst an entlegenen Orten in den Alpen und den Pyrenäen fündig. Nach Schätzungen der Weltnaturschutzunion gelangen weltweit jedes Jahr 3,2 Millionen Tonnen Kleinplastik in die Umwelt.

Doch selbst wenn es gelänge, sämtliche Mikroplastikquellen zu stopfen – der Müll würde zunächst dennoch zunehmen: Alles herumvagabundierende Großplastik zerfällt früher oder später. Eine Tüte braucht dazu 10 bis 20 Jahre, eine Take-away-Box aus Styropor 50, eine PET-Flasche etwa 450 Jahre.

Wie kommt das Mikroplastik in die Welt?

Lange galt in erster Linie die Kosmetikindustrie als verantwortlich. Sie mengte Shampoos, Peelings und Zahnpasta Teilchen bei, die massierend oder abreibend wirken sollten. Unter öffentlichem Druck haben die Hersteller diese Anteile jedoch massiv reduziert. Sie machen weniger als ein Prozent des gesamten emittierten, also in die Umwelt gebrachten Kleinplastiks aus. Auch die Kunststoffindustrie liefert winzige Plastikpellets, die zu Folien verschmolzen oder als Feuchtigkeitsabsorbierer in Windeln eingebaut werden.

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Beim Fahren hinterlassen Autoreifen Partikel

Dieses »primäre Mikroplastik« ist aber nur für einen kleinen Teil des Mikroplastikmülls verantwortlich, wenn es in die Umwelt entweicht. Der große Rest, rund 90 Prozent, entsteht bei der Nutzung und Zersetzung von Plastikprodukten wie Tüten, Verpackungen oder Reifen. Autos und ihre Infrastruktur gelten inzwischen als die Hauptverursacher von Mikroplastik. Der Abrieb von Pkw und Lkw-Reifen, von Fahrbahnmarkierungen sowie von Bitumen aus dem Asphalt macht zusammen die Hälfte der Emissionen aus. Das hat das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen berechnet. Regen spült die Partikel von den Straßen in die Kanalisation, von da gelangen sie über Flüsse ins Meer.

Aus der Waschmaschine in die Umwelt

Die Autoreifen entlassen den Mikromüll nicht nur als Abrieb auf den Straßen, sondern auch in ihrem Zweitleben als Krümel auf Sportplätzen. Zerbröselte Altreifen werden zu federnden Böden für Spielplätze und Wettkampfbahnen verarbeitet und auf Kunstrasenplätzen verstreut. Auf einem einzigen Fußballfeld verbergen sich mehrere Tonnen Gummikügelchen. Viele werden verschleppt in Profilsohlen, Trikots oder vom Wind. Dazu kommt der Abrieb von Kleidung aus Polyester oder Acryl. Von der heimischen Waschmaschine werden winzige Fusseln aus Jacken, Hosen oder T-Shirts in die Kanalisation geschwemmt.

Überraschend ist auch der Anteil im häuslichen Kompost. Denn Haushalte und Handelsketten entsorgen Bioabfälle oft in Tüten und anderen Plastikverpackungen. Die zerkleinerten Reste machen sechs Prozent der gesamten Mikroplastikemission aus.

Besonders widersinnig: Klärwerke filtern eigentlich rund 95 Prozent des Mikroplastiks aus dem Abwasser – doch konventionelle Landwirte düngen mit den Abfällen ihre Felder. Über den Schlamm gelangen die Partikel zurück in die Natur. Sie werden untergepflügt, in die Tiefe gespült, verweht.

Macht uns Mikroplastik krank?

Die schlechte Nachricht: Das Plastik hat unseren Körper erreicht. Nach einer Studie nimmt ein US-Amerikaner durch Essen und Trinken pro Jahr zwischen 39 000 und 52 000 Mikroplastikteilchen auf. Besonders Fische, die auf unseren Tellern landen, sind kontaminiert. Da sich die Partikel in der Größe nicht von Plankton unterscheiden, schlucken die Fische und andere Meerestiere beides. An der Nordsee fanden Forscher Mikroplastik in Miesmuscheln und Austern, in Kabeljau, Hering und Seehecht, außerdem im Kot von Seemöwen, Kegelrobben und Schweinswalen.

Eine wesentlich größere Menge atmen wir allerdings ein. Britische Forscher ermittelten, dass ein Mensch, während er mit Mikroplastik kontaminierte Muscheln isst, eine 15- bis 600-mal so große Menge an Plastikstaub aus der Wohnungsluft aufnimmt. Deshalb überrascht es nicht, wenn Wissenschaftler die Teilchen auch im Kot finden. Bei acht Probanden zwischen 33 und 65 Jahren aus Nord- und Südeuropa, Russland und Japan zählten sie durchschnittlich 20 Teilchen pro zehn Gramm Stuhl. Die Partikel stammten von neun verschiedenen Plastiksorten, insbesondere Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET). Allerdings war das nur eine Stichprobe, eine sehr kleine Studie, die insgesamt zurückhaltend betrachtet werden sollte.

Bei Tieren stört das Plastik den Stoffwechsel

Dennoch beinhaltet sie auch eine gute Nachricht: Mikroplastik wird offensichtlich ausgeschieden. Ob aber alles aufgenommene Plastik den Körper wieder verlässt, weiß niemand. Eine toxische Wirkung auf den Menschen wurde bisher nicht nachgewiesen. Allerdings fehlen Studien. Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht sich »aufgrund des Fehlens belastbarer Daten« nicht in der Lage, den versehentlichen Verzehr von Mikroplastik gesundheitlich zu bewerten.

Untersuchungen an kleinen Lebewesen zeigen jedoch, dass Mikroplastik durchaus schädlich sein kann. Bei Planktonkrustentieren leidet die Reproduktionsfähigkeit, bei der Gemeinen Miesmuschel stören Plastikpartikel den Eiweißstoffwechsel, und bei Strandschnecken stören sie den Fluchtreflex. Fische fressen langsamer, werden träger und unvorsichtiger. Wattwürmer und Regenwürmer erleiden Entzündungen im Verdauungstrakt.

An den Partikeln haften Gifte und Keime

Reines Mikroplastik wäre im menschlichen Körper wohl nicht so gefährlich, doch sind die Partikel verunreinigt. Viele beinhalten krebserregende und giftige Zusätze wie Flammschutzmittel, Styrolverbindungen und Weichmacher. Bricht die Polymerstruktur durch UV-Strahlung, Reibung oder Wellenbewegung auf, werden diese Stoffe freigesetzt. Zudem wirkt die Plastikoberfläche durch Absorptionskräfte wie ein Magnet auf Umweltgifte wie Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und Pestizide. Und obendrein bildet sich oft ein umhüllender Biofilm aus Bakterien, Viren und Parasiten, der Krankheiten verursachen kann.

Grafik (C): Plastikatlas 2019/Geyer; Plastikatlas von Heinrich-Böll-Stiftung und BUND
Grafik (C): Plastikatlas 2019/Geyer; Plastikatlas von Heinrich-Böll-Stiftung und BUND

Ein noch größeres Problem aber könnte Nanoplastik darstellen. Besonders kleine Teilchen durchdringen Zellmembranen und reagieren mit Molekülen im Inneren der Zellen. Die nur unter dem Mikroskop sichtbaren Partikel könnten sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden, eine Schutzschicht zwischen Gefäßen und Gehirn, und dort Entzündungen und Gewebeschäden verursachen. Doch auch dazu ist die Studienlage dünn bis nicht vorhanden.

Wie werden wir das Mikroplastik los?

Am sinnvollsten wäre eine Vielzahl von Maßnahmen, die parallel an unterschiedlichen Stellen greifen. Sie betreffen die Industrie, die Abwasserentsorgung, aber auch Privathaushalte. Der Strauß an Ideen gegen Mikroplastik ist groß und bunt.

In Klärwerken könnte zum Beispiel eine vierte Reinigungsstufe das Abwasser zu fast einhundert Prozent reinigen, auch Medikamentenreste und Hormone würden entnommen. Infrage käme ein Adsorptionsverfahren durch Aktivkohle mit nachfolgender Tuchfiltration, das pro Anlage zwischen 2,7 und 3,5 Millionen Euro kostet. In Nordrhein-Westfalen sind bereits ein Dutzend solcher Anlagen in Betrieb. Wasserwirtschaftsexperten diskutieren eine flächendeckende Einführung in ganz Europa.

In Kraft getreten ist eine Verordnung, wonach Klärschlamm ab dem Jahr 2032 nicht mehr auf Felder aufgebracht, sondern nur noch verbrannt werden darf. In Sachen Autoreifen entwickeln zum Beispiel Ingenieure der TU Berlin mineralische Gullysiebe und leistungsstärkere Straßenkehrmaschinen, um den Reifenabrieb von Autos aufzufangen. Das Fraunhofer-Institut in Oberhausen fordert, nicht nur die Plastik-, sondern auch die Gummiindustrie in die Pflicht zu nehmen. Haltbarere Autoreifen etwa würden das Mikroplastikproblem an einer Hauptquelle mindern, doch bislang gibt es keine relevanten Fortschritte auf diesem Gebiet. Entscheidend sei eine bessere Langlebigkeit von Produkten.

Mit Wäschenetzen gegen die Umweltverschmutzung

Auch des Themas Mikroplastik in Textilien kann man sich aus verschiedenen Richtungen annehmen. Umweltinitiativen fordern zum Beispiel Filter für Waschmaschinen, die Polyesterfasern aus der Kleidung sieben, bevor sie ins Abwasser gelangen. Eine 15-jährige Schülerin hat kürzlich für verschiedene Lösungen den Bundespreis bei »Jugend forscht« gewonnen. Zwei Sportartikelhändler wiederum haben einen Beutel entwickelt, in den man seine Synthetikkleidung vor der Wäsche steckt. Beim Waschen soll er die sich lösenden Fasern aufnehmen. Und an der Hochschule Niederrhein arbeiten Forscher an neuartigen Strickmaschinen, um den Partikelausstoß bei der Herstellung von Kunststofftextilien zu senken.

Um noch ein paar Ideen zu nennen: An der TU Dresden entwickeln Naturstofftechniker Alternativen zu Plastikverpackungen: Joghurtbecher etwa könnte man auch aus mikrogefaltetem Karton bauen. Chemiker am Max-Planck-Institut in Mainz tüfteln indes an biologisch abbaubaren Kunststoffen, indem sie in die Polymerketten Phosphat als Sollbruchstellen einbauen. Wenn Bakterien an den Phosphatmolekülen knabbern, zerfällt das Plastik. Doch bis zur Marktreife wird es in allen Fällen lange dauern.

Der Artikel ist in der Ausgabe 04/2020 von P.M. Fragen & Antworten erschienen.

Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.