Weltraumgrün: Grüne Helfer im All

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Foto: © Nasa
Wenn Menschen im kommenden Jahrzehnt zum Mars starten, müssen sie sich weitab der Erde autark versorgen. Das soll ihnen mithilfe von Bakterien, Algen und Pflanzen gelingen. Die Biofabriken können liefern, was die Crew unterwegs dringend braucht

(Text: Peter Michael Schneider)

So etwas Knackiges bekommen Astronauten und Astronautinnen auf der Internationalen Raumstation (ISS) nur selten zu essen. Als sie 2016 Römersalat aus ihrem Gewächshaus »Veggie« ernteten, froren sie ihn nicht wie üblich ein, um ihn zwecks Analysen zur Erde zu schicken. Stattdessen versetzten sie die frischen Blätter mit ein paar Spritzern Balsamico-Essig … und verspeisten sie. Erkenntnis des außerirdischen Geschmackstests: Weltraumgrün schmeckt sehr gut.

Die Episode ist ein Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der Menschen über lange Phasen im Weltraum leben werden. Denn falls Nasa und Esa im Laufe der 2030er-Jahre wie geplant zum Mars fliegen, müssen sie ihre Raumschiffe anders ausrüsten als bisher die ISS, zu der regelmäßig Transporte mit Lebensnotwendigem starten.

Die Teams Müssen ökologisch denken, wenn Sie zum Mars reisen Wollen

Wenn es im Orbit einmal brenzlig wird, können Astronauten und Astronautinnen aus der Umlaufbahn binnen wenigen Stunden zur Erde zurückkehren. Ein Raumschiff im interplanetaren Raum hingegen kann nicht einfach umdrehen. Die rettende Erde mit Krankenhäusern, vollen Kühlschränken, Ersatzteillagern und Unmengen frischer Atemluft ist Monate entfernt.

»Anders als auf der ISS müssen wir ökologisch denken, wenn wir zum Mars reisen«, sagt daher Klaus Slenzka, Leiter des Bereichs Life Sciences beim Bremer Raumfahrtunternehmen OHB. Lebenserhaltende Systeme müssen künftig so weit wie möglich in Kreisläufen funktionieren, die Missionen müssen sich unterwegs selbst versorgen und anfallende Reparaturen mit Bordmitteln durchführen können. Mal eben Nachschub oder Ersatz zu bestellen wird nicht funktionieren.

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Salat, wie ihn der US-amerikanische Astronaut Shane Kimbrough im Dezember 2016 auf der ISS erntete, soll Langzeit-Raumreisenden Ballaststoffe und Vitamine liefern. Foto: © Nasa

Weltraumgrün: Algen und höhere Pflanzen sollen die Crews autark machen

Für die Aufgabe, das Lebensnotwendige zu produzieren, setzen Raumfahrtagenturen auf Organismen, die uns auch auf der Erde beim Überleben helfen: auf Bakterien, Algen und höhere Pflanzen. Sie sollen die Crews autark machen. 

Bisher sahen Ingenieure nur ungern Lebendiges an Bord von Raumschiffen. Selbst Astronauten verursachen nur Probleme: Sie atmen, essen und erzeugen unerwünschte Ausscheidungen, unter anderem etwa gut 100 Gramm Fäkalien, knapp zwei Liter Urin und 1000 Gramm CO₂ am Tag. Die menschlichen Stoffwechselprodukte versuchen die Ingenieure, so gut es geht, mit chemischen Mitteln zu recyceln.

Laut NASA dauert die Reise zum Mars Und Zurück Circa drei Jahre

Für komplexere Substanzen wie die in frischen Lebensmitteln gibt es keine chemische Lösung. Pflanzen und Bakterien stellen sie aber leicht her. Sie benötigen dafür lediglich eine überschaubare Zahl an Nährstoffen, die praktischerweise direkt von den Astronauten geliefert werden – in Form der bisher unerwünschten Ausscheidungen. Auch Energie gibt es reichlich. Direktes Weltraum-Sonnenlicht würde Pflanzen zwar schädigen, man könnte es aber gefiltert über Spiegel und Glasfasern ins Innere eines Raumschiffs leiten. Auch LEDs kommen infrage, ihre Effizienz hat sich innerhalb von gut zehn Jahren etwa versiebenfacht.

Was bräuchten also sechs Astronauten auf ihrem Weg zum Mars? Laut der »Mars-Design-Referenzarchitektur« der Nasa dauert die Reise voraussichtlich circa drei Jahre – etwa 200 Tage Hinflug, 200 Tage zurück. Auf dem Mars müssen die Raumfahrer knapp 500 Tage bleiben, damit die Erde wieder so günstig steht, dass sie mit möglichst wenig Treibstoff nach Hause fliegen können.

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Alexander Gerst begutachtet einen Beutel mit Algen der Chlamydomonas reinhardtii. In den Wachstumsexperimenten auf der ISS wird geprüft, ob die Einzeller Sauerstoff und Nahrung produzieren können. Foto: © Nasa

Herkömmliche Astronautennahrung läuft nach 18 Monaten ab

Welche Medikamente und Ersatzteile die Raumfahrer und Raumfahrerinnen benötigen, lässt sich nicht genau voraussagen. Auf jeden Fall brauchen sie jeden Tag etwa vier Liter Wasser zum Trinken und Waschen, 600 Gramm Nahrungsmittel und 800 Gramm Sauerstoff zum Atmen. Das summiert sich auf die ganze Reise gerechnet auf 35 Tonnen. Das ist zu viel: Jedes Kilo Proviant erfordert fast 100 Kilo Treibstoff, um es Richtung Mars zu befördern.

Zudem läuft auch Astronautennahrung nach 18 Monaten ab, einige wichtige Bestandteile wie Vitamin B₁ zersetzen sich schon vorher. Die Nasa plant daher, der Crew einige kompakte und haltbare Grundnahrungsmittel mitzugeben. Frische Lebensmittel soll die dagegen selbst produzieren, beispielsweise Salat und Kartoffeln. Schon ein halbes Kilo Kartoffeln und eine Portion Salat würden laut Ernährungsexperten reichen, um einen guten Teil des täglichen Bedarfs an Kohlenhydraten, Vitaminen und Ballaststoffen zu decken. Nasa-Botaniker gehen aber von deutlich mehr Pflanzen aus, die zum Mars reisen werden, darunter Tomaten, Paprika, Kohl und sogar Radieschen.

Mikroorganismen benötigen weniger Raum als Pflanzen

Der für Raumfahrzeuge erfreuliche Effekt dabei: Pflanzen bilden per Fotosynthese aus ausgeatmetem Kohlendioxid Kohlenhydrate und Sauerstoff. Zwar ließe sich nicht die gesamte Atemluft derart regenerieren, aber eine Tagesration Kartoffelpflanzen würde etwa vier Prozent dazu beitragen, bei Weizen liegt der Anteil deutlich höher. 

Der Nachteil von Pflanzen: Sie benötigen viel Raum. Um ausreichend Kartoffeln für die Mannschaft zu ziehen, braucht es laut Nasa 25 Quadratmeter Anbaufläche – um den erforderlichen Tagessauerstoff zu produzieren, sogar 50 Quadratmeter.

Diese Nachteile fallen bei Mikroorganismen weg, Algen beispielsweise betreiben ebenfalls Fotosynthese. Zudem können sie in platzsparenden Bioreaktoren wachsen und nutzen das Sonnenlicht viel effektiver als höhere Pflanzen: Die Algenzellen legen bis zu zehnmal so schnell an Biomasse zu wie Landgewächse – und können jederzeit geerntet werden. Ein weiterer Vorteil ist ihr Ernte-Index, das Verhältnis von Pflanzengesamtmasse zu essbarem Anteil. Algen sind vollständig essbar, bei der Tomate etwa sind es nur 65 Prozent.

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Antarktis statt Mars oder Mond: Im Gewächshaus »Eden ISS« erprobten Forscher Gartenbau zur Selbstversorgung. Foto: © Hanno Müller/AWI

Tests mit der süßAwasseralge Chlorella Vulgaris

Nicht umsonst stehen die biologischen Hochleistungsproduzenten im Fokus der Raumfahrtforschung. Im Mai 2019 brachte ein Versorgungsschiff den ISS-Astronauten zwei 40 mal 20 Zentimeter große Bioreaktoren von Forschenden der Universität Stuttgart. Darin lebte die nur etwa drei Mikrometer große Süßwasseralge Chlorella vulgaris, die für ein halbes Jahr dem Lebenserhaltungssystem der ISS helfen sollte, die verbrauchte Stationsluft zu erneuern. Allerdings war der angepeilte Beitrag des Experiments minimal: 0,8 Gramm Sauerstoff pro Tag, das veratmet ein Mensch in gut einer Minute. 

Gelegenheit, von den Algen zu probieren, bekamen die ISS-Astronauten und -Astronautinnen indes nicht. Chlorella gedieh zwar zunächst wie erwartet. Doch nach zwei Wochen fiel die Energieversorgung aus, und das Experiment war vorzeitig beendet – ein mahnendes Beispiel für die Fragilität der Raumfahrt. Aber Algen schmecken ohnehin recht fad und enthalten obendrein zu viele schwer verdauliche Eiweiße. Algensmoothies werden daher nicht als Hauptmahlzeit auf dem All-Menü stehen, sondern eher als Nahrungsergänzung wie bei irdischen Fitnessfans.

Im Kunstlicht eines Fotobioreaktors soll die Süßwasseranlage Chlorella vulgaris helfen, die verbrauchte Stationsluft eines Raumschiffs zu erneuern. Foto: © IRS Stuttgart

»Wenn sie optimale Bedingungen haben, verdoppeln die Algen sich innerhalb von zehn Stunden«

Algen haben jedoch einen weiteren, praktischen Nutzen für die Fernreisenden mit dem strengen Gepäcklimit: Sie eignen sich gut als Beimengung, um in 3-D-Druckern Ersatzteile zu formen. Denn bei einer Marsmission wäre es unmöglich, tonnenweise Ersatzteile mitzunehmen. Mit 3-D-Druckern hingegen könnte die Crew Ersatzteile produzieren, wenn sie sie braucht. 

»Wenn sie optimale Bedingungen haben, verdoppeln die Algen sich innerhalb von zehn Stunden«, so Slenzka. »Nach drei Wochen filtern wir sie ab. Das Filtrat geben wir wieder zurück.« So lässt sich der Reaktor im Dauerbetrieb halten, ein wichtiger Entwicklungsschritt, sollte er wie geplant in einigen Jahren im All zum Einsatz kommen. 

Die Bioplastik-Grundmasse müssten die Astronauten zwar mitnehmen, aber mit der Alge, die sonst gern in Teichen und sogar in der Antarktis wächst, ließen sich 40 Prozent des mitgebrachten Rohstoffs einsparen. Noch besser: Werden die gedruckten Gegenstände nicht mehr gebraucht, könnte die Besatzung sie schreddern und in den Kreislauf zurückgeben.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Titelgeschichte der Ausgabe 06/2022 von P.M.