Die Außenseiter Uranus und Neptun

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Foto (C): NASA/laif
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Uranus und Neptun wurden zuletzt vor mehr als 30 Jahren von einer Sonde besucht. Sie hüten noch viele Geheimnisse. Die Zeit drängt, sie zu lüften

Text: Michael Büker

Weit hinter den prominenten Gasriesen Jupiter und Saturn ziehen die vernachlässigten Außenseiter unseres Sonnensystems ihre Bahnen: Uranus und Neptun, die äußersten der heute bekannten acht Planeten. Während sich anderswo die Forschungssonden nur so tummeln, herrscht hier draußen fast völlige Funkstille. Einzig die Sonde »Voyager 2« flog 1986 an Uranus und 1989 an Neptun vorbei. Es blieb der einzige Besuch einer Raumsonde bei den beiden Eisplaneten.

Was wir bisher über die beiden Eisriesen wissen

Forscher verdanken diesen Vorbeiflügen einen großen Teil ihres Wissens über die beiden Planeten. Sie entdeckten bei Uranus neue Ringe und Monde sowie ein kurios geformtes Magnetfeld, dessen Ursprung noch immer rätselhaft ist. Sie sahen in Neptuns Atmosphäre außergewöhnlich starke Stürme und Zeichen geologischer Aktivität auf seinem großen Mond Triton.

Voyager 2 hat vor allem die Schwerkraft der beiden Planeten vermessen. Daraus konnten Forscher auf ihren inneren Aufbau schließen. Der ist im Sonnensystem einzigartig und brachte Uranus und Neptun die Bezeichnung Eisriesen ein. Beide sind deutlich größer und schwerer als die Erde, aber deutlich kleiner und leichter als Jupiter und Saturn. Ihr Kern besteht wahrscheinlich aus Gestein und schweren Elementen, wie die Erde auch.

Ihre Atmosphäre ist zum größten Teil aus Wasserstoff und Helium zusammengesetzt wie die der Gasriesen. Im Gegensatz zu Jupiter und Saturn haben sie aber sehr charakteristische Farben: ein helles Türkisblau bei Uranus und ein tiefes Dunkelblau bei Neptun. Das kommt durch einen kleinen Anteil von Methan in ihrer Atmosphäre, dessen Moleküle einen Teil der roten Farbe aus dem Sonnenlicht verschlucken, sodass vor allem blaues Licht reflektiert wird.

Wissenschaftliche Modelle scheitern daran, Phänomene auf diesen Planeten zu erklären

Was die Eisriesen einzigartig macht, ist ihr flüssiger Mantel aus leichten Verbindungen wie Wasser, Methan und Ammoniak. Diese werden auch »Eise« genannt, weil sie in den Außenbereichen des frühen Sonnensystems reichhaltig als festes Eis vorhanden waren. Im Innern der Eisriesen liegen sie heute aber heiß und flüssig vor.

Angesichts ihrer besonderen Zusammensetzung fragen sich Forscher: Wo und wie sind die Eisriesen eigentlich entstanden? Mit den üblichen physikalischen Modellen ist den Phänomenen von Uranus und Neptun nicht beizukommen. Viele Wissenschaftler vermuten darum, dass die Planeten nicht dort entstanden sind, wo wir sie heute finden. Im Laufe der Entwicklung des Sonnensystems sollen sie stattdessen gewandert sein, und zwar überwiegend von der Sonne weg. Computermodelle stützen diese Vermutung.

Obwohl Uranus und Neptun meist in einem Atemzug genannt werden, sind sie beide einzigartig. Das unbestreitbar größte Kuriosum ist Uranus’ Schieflage. Seine Drehachse steht nicht senkrecht auf seiner Umlaufbahn, sondern ist um etwas mehr als 90 Grad gekippt. Das heißt: Während die übrigen Planeten sich aufrecht auf ihrer Umlaufbahn drehen wie ein Kreisel, rollt Uranus wie ein Ball auf seiner Bahn entlang. Wahrscheinlich ist eine Kollision mit einem anderen Himmelskörper vor langer Zeit dafür verantwortlich.

Foto (C): Science-Photo-Library
Foto (C): Science-Photo-Library

Volltreffer: Die Kollision mit einem Himmelskörper verlieh Uranus eine horizontale Drehachse.

Dies könnte auch das Rätsel um Uranus’ Temperatur erklären. Gemessen an seiner Wärmestrahlung ist Uranus nämlich kälter als Neptun – und das obwohl er der Sonne um ein Drittel näher ist. Ein gewaltiger Einschlag könnte den Wärmehaushalt von Uranus so durcheinandergebracht haben, dass er heute kälter ist als Neptun.

Was Uranus’ Schieflage für sein Wetter bedeutet, ist bislang kaum verstanden. Da er 84 Jahre für einen Umlauf um die Sonne braucht, werden Forscher ihn noch ein halbes Jahrhundert beobachten müssen, ehe sie überhaupt jede seiner extremen Jahreszeiten einmal mit modernen Instrumenten erfassen konnten. Vielleicht, so vermuten manche, ist Uranus eigentlich gar nicht kälter als Neptun, sondern hat eine Art isolierende Schicht in seiner Atmosphäre. Diese läge jedoch so tief, dass sie unseren Instrumenten bisher verborgen geblieben wäre.

Die geheimnisvollen Ringe

Neben einigen kleinen Monden besitzt Uranus auch Ringe, die um seinen Äquator liegen und umgekippt sind wie der Planet selbst. Eine Forschungsarbeit von Astronomen aus den USA und Großbritannien vermaß 2019 den prominentesten von Uranus’ Ringen. Mittels Infrarotaufnahmen fingen sie ein überraschend deutliches Bild des Epsilon-Rings ein. Dessen Temperatur konnten sie auf minus 196 Grad Celsius bestimmen.

Die Messungen bestätigten frühere Beobachtungen, wonach dieser Ring eine kuriose Zusammensetzung hat. Er besteht aus Körnchen und Brocken verschiedener Größe, enthält aber praktisch keinen Staub – anders als die meisten anderen Planetenringe des Sonnensystems.

Auch die Frage, woraus Uranus’ Ringe genau bestehen, ist offen. Viele Forscher vermuten Wassereis als Hauptbestandteil, wie auch bei den Ringen Saturns. Ein unbekannter Stoff muss sie jedoch verschmutzen, sodass sie viel dunkler erscheinen als die berühmten Ringe des Nachbarplaneten.

Rätselhafte Magnetfelder und Wetterphänomene

Neptun ist in mancherlei Hinsicht der konventionellere der beiden Planeten. Sein Äquator steht aufrecht, und seine Atmosphäre zeigt Jahreszeiten und Wetterphänomene wie Stürme und Wolkenbänder, die denen der Gasriesen Jupiter und Saturn sehr ähnlich sind.

Doch Neptun hat, genau wie Uranus, ein rätselhaftes Magnetfeld. Es steht schräg zu seiner Drehachse und ist komplex geformt, da es nicht zwei Pole, also einen magnetischen Nord- und Südpol, sondern mindestens vier aufweist. Auch Uranus verfügt über vier Pole, auch sie sind nicht an seiner Drehachse ausgerichtet. Forscher vermuten, dass ein Dynamoeffekt im aus flüssigen Gasen (Wasser, Methan, Ammoniak) bestehenden Mantel des Uranus diese Besonderheit hervorruft. Bei Neptun könnte auch metallischer Wasserstoff dafür verantwortlich sein, entstanden durch enormen Druck im Innern des Planeten.

Beobachtungen mit großen Teleskopen haben auf Neptun wie auch auf Uranus Aufnahmen von Polarlichtern gemacht. Diese Leuchterscheinungen kommen zustande, indem geladene Teilchen von der Sonne durch das Magnetfeld eines Planeten gebündelt werden und die Teilchen seiner Atmosphäre zum Leuchten anregen.

Neptuns besonderer Mond Triton

Im Gegensatz zu Uranus hat der Planet Neptun einen außergewöhnlich großen und besonderen Mond: Triton. Er fiel in den Nahaufnahmen von Voyager 2 durch seine sehr aktive Oberfläche auf. Was auf ihr fehlt: Einschlagkrater fremder Objekte, wie sie auf anderen Monden zu finden sind. Daraus schließen Forscher, dass Tritons Oberflächenmerkmale erst wenige Millionen Jahre alt, geologisch betrachtet also gerade erst entstanden sind.

Foto (C): NASA/JPL
Foto (C): NASA/JPL

Auf Neptuns Mond Triton brechen regelmäßig Geysire aus – hier sichtbar als dunkle Rauchfahnen. Sie bestehen aus flüssigem Stickstoff sowie Gesteinsstaub und reichen bis zu acht Kilometer hoch.

So junge Oberflächen haben auch der Jupitermond Europa oder der Saturnmond Enceladus. Sie bestehen zu einem großen Anteil aus Wassereis und haben dicht umschlossene Ozeane aus flüssigem Wasser unter ihrer Oberfläche. Die darin gelösten organischen Verbindungen und die innere Wärme der Monde könnten günstige Bedingungen für die Entstehung von Leben bieten – und womöglich sieht es im Inneren Tritons genauso aus.

Triton umkreist Neptun auf einer stark geneigten Bahn »rückwärts«, also entgegen Neptuns Eigendrehung. Forscher werten dies als Indiz dafür, dass Neptun sich Triton aus dem nahe gelegenen Kuipergürtel eingefangen hat, wo er mit seiner gewaltigen Schwerkraft die Umlaufbahnen vieler Körper beeinflusste.

Die Planeten Neptun und Uranus sind nur wenig erforscht

Angesichts der vielen Fragen dringen Forscher seit Jahren auf einen erneuten Besuch im äußeren Sonnensystem. Sie haben in Europa und den USA eine ganze Handvoll Konzepte vorgelegt, in denen Forschungsmissionen zu Uranus, Neptun oder sogar beiden vorgeschlagen werden.

Foto (C):Matt-Beardsley-SLAC-National-Accelerator-Laboratory
Foto (C):Matt-Beardsley-SLAC-National-Accelerator-Laboratory

Am »Stanford Linear Accelerator left« in den USA (Bild) stellten Forscher die physikalischen Verhältnisse im Innern des Planeten Neptun nach. Schon lange wird darüber spekuliert, ob dort extremer Druck Kohlenwasserstoff-Verbindungen auftrennt. Das würde bedeuten, dass es im Innern des Neptun Diamanten regnet. Um dies nachzuweisen, setzten die Forscher in Stanford einen speziellen Kunststoff aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen unter 1,5 Millionen Bar Druck und erhitzten ihn mit einem Röntgen- und einem optischen Laser auf eine Temperatur von 5000 Grad Celsius – Bedingungen, wie sie in Neptun herrschen. Tatsächlich bildeten sich in Sekundenbruchteilen Diamantsplitter.

Der Zeitpunkt wäre günstig: Eine seltene Stellung der Planeten erlaubt es demnächst, die Eisriesen mit einem Vorbeiflug am Jupiter in nur 12 bis 15 Jahren zu erreichen und damit deutlich schneller als sonst. So ließe sich trotz der begrenzten Lebensdauer von Raumsonden zuverlässig eine Mission ins äußere Sonnensystem planen. Doch der Start müsste zwischen 2031 und 2034 liegen, die Konstruktion der Sonden schleunigst beginnen.

Eine Erforschung der Eisriesen würde nicht nur das Wissen über unser eigenes Sonnensystem mehren. Denn mit der Entdeckung immer neuer Exoplaneten hat sich gezeigt: Viele Sterne werden von Planeten umkreist, die größer sind als Erde und Venus, aber kleiner als Jupiter und Saturn – und damit womöglich Uranus und Neptun ähnlich.

Die beiden Außenseiter können uns also eine Menge lehren. Wir müssten sie nur wieder einmal besuchen.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6/2020 von P.M. erschienen.

Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.